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Lot 1012 Dα

Sachsen um 1500/1510 - Trauergruppe aus einem Kalvarienberg

Auktion 1029 - Übersicht Köln
17.05.2014, 11:00 - Sammlung Hofstätter
Schätzpreis: 180.000 € - 200.000 €
Ergebnis: 244.000 € (inkl. Aufgeld)

Sachsen um 1500/1510

Trauergruppe aus einem Kalvarienberg

Lindenholz, aus zwei Werkblöcken geschnitzt, rückseitig abgeflacht und teilweise ausgehöhlt. Originale farbige Fassung und Vergoldung.
Zwei vertikale Risse am unteren Rand. Bestoßungen mit geringfügigen Verlusten. 136 x 77 x 18 cm.

Stark erhaben gearbeitetes und am oberen Rand silhouettiert gestaltetes Relief von höchster schnitzerischer Qualität. Vor einer felsigen Landschaft sind die Trauernden unter dem Kreuz Christi zu sehen. Zur Linken wird die kniend zusammengesunkene Gottesmutter von zwei Frauen und dem jugendlichen Johannes begleitet, daneben weist Veronika das Schweißtuch mit dem Antlitz Christi vor. Zur Rechten kniet Maria Magdalena, ihren Kopf wie die Soldaten hinter ihr stark erhoben: sie blickt auf zum gekreuzigten Christus. Unser Relief erweist sich somit als Fragment und linker Bestandteil einer großen Darstellung des Kalvarienbergs, der im Mittelschrein eines großen Flügelaltars aufgestellt gewesen sein muss.
Der ursprüngliche Aufstellungsort dieses Altars wie auch der Verbleib seiner weiteren Bestandteile sind nicht bekannt, doch die stilistische Ausführung und besonders die Physiognomien unseres Reliefs verweisen auf den sächsischen Kunstraum. Hier ist als führender Bildschnitzer seiner Zeit der Meister H. W. zu nennen, der in der Vergangenheit mit dem Namen "Hans Witten" in Verbindung gebracht wurde, wobei seine Künstlerpersönlichkeit jedoch bis auf den heutigen Tag rätselhaft geblieben ist. Als signierte Werke können ihm die "Schöne Tür" in Annaberg, das Altarretabel in Borna und die Skulptur einer Hl. Helena in Halle sicher zugewiesen werden, so dass er ca. 1500-1520 in Sachsen tätig gewesen sein muss. Im Umfeld dieses Meisters H. W. ist auch der Schnitzer unseres bedeutenden Kalvarienbergfragments zu suchen.
Die Provenienz des Reliefs vor 1945 ist unklar. Nach der Aussage von Walter Bornheim am 2.9.1955 (Restitutionskartei, Bundesarchiv Koblenz, B323/658 u. 516) wurde es zu einem unbestimmten Zeitpunkt von der Kunsthandlung Bornheim an Hermann Göring verkauft. Zudem ist bisher nicht bekannt, wo Bornheim das Werk erworben haben will, denn am selben Tag gab er nur mit Unsicherheit an: "Ca. 1938/1939 in Köln bei Lempertz (?) gekauft. (Vorm. Slg. Vieweg, Braunschweig)." Seine fragliche Behauptung des Erwerbs bei Lempertz lässt sich aber nicht erhärten, und trotz intensivster Recherchen konnte auch die Herkunft aus der Sammlung Vieweg bisher nicht bewiesen werden. Eine vollständige Liste der Sammlung von Wilhelm von Bode aus dem Jahr 1910 konnte bisher nicht aufgefunden werden, und weder in der Auktion "Sammlung Vieweg" am 18.3.1930 bei Lepke in Berlin noch in der Auktion "Nachlass Helene Tepelmann geb. Vieweg" am 1.-2.2.1940 bei Lempertz in Köln war das Relief vertreten. Doch sollte das Relief tatsächlich aus der Sammlung Vieweg stammen, könnte es in den späten 30er-Jahren entweder im Besitz der "Aktiengesellschaft Friedr. Vieweg & Sohn" oder der 1939 verstorbenen Helene Tepelmann gewesen sein. Um die Provenienz weiter aufzuklären, haben wir die Arbeit vorübergehend in die Suchkartei "Lostart" der Koordinierungsstelle Magdeburg eingestellt.

Wir danken Dr. Ilse von zur Mühlen (Staatliche Museen München, Provenienzforschung) für die Möglichkeit zur Einsicht in ihre aktuellen Forschungsergebnisse.

Provenienz

Kunsthandlung Walter Bornheim, München (1938/1939?, laut Angaben von Walter Bornheim angeblich aus der Sammlung Vieweg, Braunschweig). - Von Bornheim verkauft an Hermann Göring (Göring-Holzplastik-Katalog Nr. H 74). - Central Collecting Point, Münchner Nr. 6082 (27.7.1945). - Nachlass Hermann Göring (1946). - Übergeben in die Treuhänderschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten in Person des Generaldirektors der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München (10.6.1949). - Treuhandverwaltung für Kulturgut (1952). - Gemäß der Vereinbarung vom 6.12.1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern in das Eigentum des Freistaates übergegangen, in der Folge von der Treuhandverwaltung für Kulturgut an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen überwiesen. - Übernahme aus dem Besitz des Freistaats Bayern durch das Bayerischen Nationalmuseum München, Inv. Nr. 61/41 (23.5.1961). - Abgabe aus dem Bayerischen Nationalmuseum München im Tausch an Kunsthandel Hofstätter ohne Benennung der Provenienz (23.4.1975).

Literaturhinweise

Zum Meister H. W. und damit zugleich zur spätgotischen Skulptur in Sachsen siehe Walter Hentschel: Hans Witten. Der Meister H. W., Leipzig 1938. - Ferdinand Stuttmann, Gert von der Osten: Niedersächsische Bildschnitzerei des späten Mittelalters, Berlin 1940, S. 15-18 mit Abb. - Gert von der Osten: Das Frühwerk des Hans Witten. In: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen, Bd. 63, 1942, S. 90-104. - Simona Schellenberger: Bildwerke des Meisters HW. Entwicklungen der spätgotischen Skulptur zwischen Raumkonstruktion und Graphik, phil. diss. Humboldt-Universität Berlin 2005 (download link: www.edoc.hu-berlin.de/dissertationen/schellenberger-simona-2005-05-02/PDF/schellenberger.pdf).