Marc Chagall - Die Mäherin - image-1

Lot 541 D

Marc Chagall - Die Mäherin

Auktion 905 - Übersicht Köln
02.06.2007, 00:00 - - 900. Auktionen - Moderne Kunst
Schätzpreis: 450.000 € - 500.000 €
Ergebnis: 714.000 € (inkl. Aufgeld)

Gouache auf olivgrünem festen Papier 50,8 x 66,2 cm (Passepartout-Ausschnitt 50,4 x 65,7 cm), unter Glas gerahmt. Unten rechts blau signiert Marc Chagall. - Auf der rückseitigen Rahmungspappe mit mehreren Museums- bzw. Ausstellungsaufklebern sowie Zollstempeln versehen.
Meyer 411

„Die Mäherin“, 1926 in Frankreich entstanden, ist höchstwahrscheinlich eine glückliche Reminiszenz an die Zeiten in der hochsommerlichen ländlichen Auvergne, wohin Chagall und Bella sich zurückgezogen hatten. Hier war der Künstler seiner russisch-bäuerlichen Herkunft und der Natur wieder nahe. Seine Kreativität erhält einen neuen, explosiven Anschub und sein Stil wandelt sich durch den Einsatz intensiver Farben, die in ihrer Materialität betont werden. Gerade in den Gouachen dieser Periode entwickeln sie eine naiv-derbe aber auch bezaubernde neue Dynamik. Es entstehen in diesem Medium, von Ambroise Vollard angeregt, die außergewöhnlichen Zyklen zu den Fabeln von La Fontaine und wenig später zum Themenkreis des Zirkus.Die vorliegende große Gouache ist eine bedeutende Arbeit aus dieser Zeit und war, ehemals im Besitz einer bekannten tschechischen Privatsammlung mit französischer Kunst, lange Zeit in der Nationalgalerie Prag ausgestellt.
Vor einem nachtblauen Himmel und einem hoch gewachsenen Kornfeld von strahlendem Gelb, das an die Felder des Vincent van Gogh erinnert, steht die Gestalt einer jungen Frau, die lange Sense hinter sich diagonal weggestreckt. Mit dem Gewicht auf dem rechten Fuß scheint sie leicht zu tänzeln, der Kopf dreht sich und sie neigt, schräg balancierend und wie magnetisch angezogen, der Seite zu wo ihr auf Augenhöhe ein gelocktes Profil entgegenlacht, das zweifellos die selbstbildnishaften Züge des Künstlers trägt. Die polare Anziehung und Spannung im Bild wird formal durch die Asymmetrie, den gewagten Anschnitt und die bühnenhafte Flächenaufteilung betont. Diese spielerische, theaterhafte Art, wie die äußersten Bildränder motivlich und kompositorisch einbezogen werden, ist ein bei Chagall häufiger anzutreffender Kunstgriff und von gezieltem Bildwitz und Überraschungseffekt. Ausponderiert wird die Darstellung durch den hoch oben in der rechten Bildhälfte schwebenden Vollmond und die weiß blinkende Klinge der langen Sense. Auf dem gebauschten Rock des Mädchens erblühen alle Farben, abstrakt getupft und gespritzt, als hätten Mohn, Kornblumen und die Kräuter des Feldes sich in nächtlichem Zauber auf die Figur übertragen.
In seiner Eröffnungsrede zu der Ausstellung Chagalls im Kunsthaus Zürich 1967 (Wiederabdruck in: Ausst. Kat. Köln 1967, Wallraf-Richartz-Museum, Kunsthalle Köln, S. 9) formulierte Franz Meyer sehr treffend:
„Die turbulente Phantastik der Bilderfindung entreißt den Betrachter seiner Alltagsstimmung und macht ihn zum Mitspieler. Tief ins Innere dringt die Strahlenwärme der Malerei, so als richte sich ihre Botschaft ganz unmittelbar an die Lebensgeister. [...] Die Unmittelbarkeit der Wirkung war seit je die bezeichnende Stärke der Malerei Chagalls. Darum beschränkt sich sein Publikum auch nicht auf die ‚happy few' irgendeiner Selektion: seine Kunst berührt Menschen aller Bildungschichten, jedes Herkommens, sofern sie sich überhaupt in jener Region ansprechen lassen, die man in schöner und vielleicht etwas altväterischer Weise als ‚Herz' bezeichnet. Man darf solche Kunst unzweifelhaft als ein Wunder hinnehmen und sich von ihr verführen und verzaubern lassen.“

Werkverzeichnis

Meyer 411

Provenienz

ehemals Sammlung Wenzel Borovicka, Prag; Dr. Jaroslav Borovicka, Prag/Düsseldorf; hessische Privatsammlung

Literaturhinweise

vgl. Franz Meyer, Marc Chagall, Leben und Werk, Köln 1961, S. 350 - 352

Ausstellung

Národní Galerie, Prag (Staatsgalerie); Dresden/Berlin 1976/1977 (Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Kupferstich-Kabinett, Staatliche Museen zu Berlin), Marc Chagall, Kat. Nr. 6 mit Abb. Nr. 3 [dort noch "1928-1930" datiert]; Belgrad und Japan 1984 (s. rückseitige Aufkleber); Ingelheim a. Rhein 1988 (Internationale Tage Ingelheim am Rhein)," Prag" (rückseitiger Aufkleber)