Charles Lapicque

Charles Lapicque wollte als Maler der Welt entfliehen

Charles Lapicque wurde am 6. Oktober 1898 in Theizé in Frankreich geboren. Nichts deutete auf eine Karriere als Künstler hin: Lapicque entstammte einer Familie von Wissenschaftlern und strebte selbst ein Ingenieursstudium an. 1909 ging er zu diesem Zweck nach Paris, musste aber zunächst im Ersten Weltkrieg als Soldat an der Front kämpfen; 1918 wurde er für seinen Einsatz mit dem Croix de guerre ausgezeichnet. Im Anschluss nahm er sein Studium auf; seine Forschungen an der Sorbonne führten zur Einführung der noch heute in der Elektrophysiologie genutzten Begriffe Rheobase und Chronaxie. Trotz dieser Erfolge fühlte Charles Lapicque sich schon während seiner Zeit als Student stark von der bildenden Kunst angezogen und er widmete sich in seiner Freizeit zunehmend der Malerei, die er sich vollständig als Autodidakt aneignete. Dabei wendete er die Techniken und Methoden an, die er von seiner Forschungsarbeit her kannte: Er experimentierte, probierte aus, entwickelte weiter und wollte als Maler der Welt entfliehen.

Vom Sonntagsmaler zur geachteten künstlerischen Größe

Charles Lapicque fand in der Kunst so viel Erfüllung, dass er beschloss, seine Ingenieurslaufbahn zugunsten einer Künstlerkarriere aufzugeben. Dabei unterstützte und ermutigte ihn seine Frau Aline Lapicque (1899–1991), die ebenfalls eine Künstlerin war und wie er aus einer Gelehrtenfamilie stammte: Ihr Vater war der Physiker und spätere Nobelpreisträger Jean Perrin (1870–1942). Aus dem anfänglichen Sonntagsmaler Charles Lapicque wurde eine ernst zu nehmende künstlerische Größe: Die Galeristin Jeanne Bucher (1872–1946) wurde auf seine Arbeiten aufmerksam und lud ihn ein, sich ihrem avantgardistischen Kreis anzuschließen, zu dem Künstler des Kubismus und Surrealismus wie Georges Braque (1882–1963), Max Ernst (1891–1976) und André Masson (1896–1987) zählten. Sein Schaffen der Jahre 1939 bis 1943 gilt als ein maßgeblicher Beitrag zur Entwicklung der nicht-figurativen Malerei. Die Bekanntschaft mit den Philosophen Gabriel Marcel (1889–1973) und Jean Wahl (1888–1974) inspirierte ihn zu umfassenden ästhetischen und philosophischen Betrachtungen. Auch als Künstler vergaß er die Wissenschaft nie.

Die Bretagne als unerschöpflicher Quell der Inspiration

Charles Lapicque gilt mit seinem grellen und experimentierfreudigen Malstil als »Inbegriff der bretonischen Pop Art«, 1953 gewann er auf der Biennale di Venezia einen Preis. André Breton (1896–1966), der große Vordenker des Surrealismus, bezeichnete Charles Lapicque gar als einen der zehn größten Künstler seiner Zeit. Neben der bildenden Kunst war es die Musik, die Lapicque begeisterte; er erlernte Fagott, Klarinette und Posaune und spielte diese in mehreren Amateur-Ensembles. Die Inspiration für seine Bilder fand er vor allem bei den zahlreichen Segeltouren, die er in der Bretagne unternahm. Im Zweiten Weltkrieg musste Charles Lapicque noch einmal die Staffelei gegen das Gewehr eintauschen: Er schloss sich der Résistance an, kehrte aber nach Kriegsende wieder in seine geliebte Bretagne zurück, die er mit grellem Farbfeuerwerk, Gittermustern und wiederkehrenden Stilwechseln interpretierte. Zeitgenossen und Nachwelt taten sich mit dieser Mischung oft schwer, so dass der Künstler nach seinem Tod lange Zeit kaum Beachtung fand. Erst im Jahr 2009 widmete ihm das Musée Unterlinden in Colmar wieder eine Ausstellung.

Charles Lapicque starb am 15. Juli 1988 in Orsay.